Dem Zufall sei Dank: Neue Medikamente können Haarausfall stoppen. Als Nebeneffekt ließen Prostatamittel und Blutdrucksenker neue Haare auf gelichteten Köpfen sprießen. Ob ätzender Brennnesselsud oder Fledermauskot, gemixt mit Honigbier: Rezepte gegen Haarausfall werden seit Jahrtausenden gehandelt. Wirksame Erfolge haben sich selten eingestellt. Wird von wiederhergestellter Haarpracht geschwärmt, waren meist krankhafte Störungen die Ursachen des Ausfalls: hochfieberhafte Erkrankungen, Fehlfunktionen innerer Organe, Fehl- und Mangelernährung (zum Beispiel bei Crash-Diäten), aggressive Medikamente. Stellte man das Grundübel ab, erblühte auch der Kopfschmuck wieder.
Kein Kraut war bis vor wenigen Jahren gegen den Hauptverursacher gelichteter Schädel gewachsen, den erblich bedingten "männlichen" Haarausfall, unter dem nicht nur - mehr oder weniger - fast alle Männer, sondern auch viele Frauen zu leiden haben. Für sie gibt es ein paar hilfreiche Anwendungen, deren hormonelle Basis einen Einsatz bei Männern meist verbietet. Jetzt gibt es auch für die etwas Hoffnung: Ein Prostatamittel und ein Blutdrucksenker entpuppten sich als Haarwuchshilfen. Diese Präparate bewirken tatsächlich etwas - allerdings keine Wunder. Bei sehr vielen Betroffenen - untersucht wurden vor allem Männer zwischen 18 und 49 - kann immerhin der Haarausfall verlangsamt oder ganz gestoppt werden. Einige können auch mit neuem Haarwuchs rechnen, allerdings sind die neuen Haare meist weniger kräftig.
Da die Medikamente die Ursache des Haarausfalls nicht beheben, müssen sie lebenslang angewendet werden - nach Absetzen der Mittel ist schnell der ursprüngliche Kahlzustand wieder erreicht. Die besten Behandlungserfolge lassen sich in frühen Stadien des Haarausfalls erreichen. Sind die Haarwurzeln erst einmal restlos zerstört, können auch diese Medikamente nicht mehr helfen - wo keine Wurzeln sind, kann auch kein Wuchs angeregt werden.
Die derzeit einzige "Haarwuchspille" - allein für den Mann - enthält den Wirkstoff Finasterid. Er hemmt das Enzym 5-alpha-Reduktase Typ II in seiner Aktivität. Zunächst wurde Finasterid (Markenname Proscar) gegen Vergrößerungen der Prostata eingesetzt. Als Haarwuchsmittel ist es unter dem Namen Propecia (Monatsdosis rund 60 Euro) auf dem Markt. Klinische Studien belegen, dass Haarausfall gestoppt und Neuwuchs angeregt wurde. Knapp zwei Prozent der Verwender klagten über - teilweise nur vorübergehend auftretende - verminderte Libido oder Potenzprobleme. "Diese Probleme tauchen innerhalb der ersten acht Wochen auf", erklärt Prof. Hans Wolff, Oberarzt an der Dermatologischen Klinik der Universität München. "Wer in dieser Zeit keine Nebenwirkungen feststellt, muss auch nach längerer Einnahme nicht mehr damit rechnen."
Welche Auswirkungen eine noch längere Anwendung von Finasterid auf den Organismus hat, ist bislang jedoch nicht bekannt. "Für die lebenslange Einnahme von Tabletten sind mir die kosmetischen Ergebnisse zu mager", sagt Prof. Christoph Geilen, leitender Oberarzt der Dermatologischen Klinik des Universitätsklinikums Benjamin-Franklin in Berlin. "Ich würde für dieses lokale Problem des Haarausfalls zunächst eine lokale Therapie vorziehen, beispielsweise mit Minoxidil." Wer sich für Propecia entscheidet, muss täglich ein Tablette einnehmen. Zu beachten ist, dass das Medikament den PSA-Test zum Nachweis eines Prostatakarzinoms verfälscht. Schwangere dürfen mit den Tabletten nicht in Berührung kommen: Der Wirkstoff könnte in die Haut eindringen und das Ungeborene schädigen.
Der Wirkstoff Minoxidil - als Medikament gegen zu hohen Blutdruck entwickelt - fördert Wachstumsfaktoren und den Erhalt der das Haar versorgenden Blutgefäße. Als Flüssigkeit zweimal täglich auf die betroffenen Areale geträufelt, kann es Haarausfall verlangsamen und neuen Haarwuchs - häufig nur Flaumhaar - anregen. Als Nebenwirkungen werden gelegentlich trockene Haut und Juckreiz festgestellt. Bisher ist Minoxidil als Haarwuchsmittel (Markenname Regaine, 5-prozentige Lösung, Monatsdosis etwa 50 Euro) in Deutschland nur für Männer zugelassen. Mit einer schriftlichen Einverständniserklärung wird Minoxidil - empfohlen wird eine 2-prozentige Lösung - aber auch Frauen verordnet. Männer können Minoxidil auch gleichzeitig mit Finasterid anwenden, da beide Wirkmechanismen unterschiedliche Ansatzpunkte haben. Eindeutig nachgewiesen ist eine verbesserte Wirkung allerdings nicht.
Am Anfang jeder Therapie steht der Gang zum Hautarzt. Der muss feststellen, ob als Ursache des Haarverlustes wirklich die androgenetische Alopezie infrage kommt. Nachdem der Arzt ein Medikament verordnet hat, heißt es geduldig sein: Sichtbare Erfolge sind erst nach drei bis sechs Monaten zu erwarten. Wenn allerdings nach zwölf Monaten noch immer keine Besserung eingetreten ist, ist von diesem Medikament keine Hilfe zu erwarten. Während Männer Behandlungskosten aus eigener Tasche zahlen müssen, übernehmen diese bei Frauen in der Regel die Kassen.
Weltweit wird derzeit an der Entwicklung weiterer 5-alpha-Reduktasehemmer gearbeitet. Neu ist der Wirkstoff Dutasterid, der nicht nur das Typ-II-Enzym, sondern auch das Typ-I-Enzym in seiner Aktivität hemmt. Damit soll es die Bildung von Dihydrotestosteron noch wirksamer unterdrücken. Ob es tatsächlich auch besser gegen Haarausfall wirkt, müssen klinische Studien zeigen. Bisher ist das Medikament nicht zugelassen. Besser als nur die Symptome zu bekämpfen, wäre es natürlich, das Übel an der Wurzel, das heißt an den Genen zu packen. Über die für den Haarausfall verantwortlichen Gene ist bisher sehr wenig bekannt. An der Düsseldorfer Uniklinik ist man ihnen jetzt mit einer Studie auf der Spur. "Wenn diese Gene erst identifiziert sind, dann könnte es auch bald eine Gentherapie gegen Haarausfall geben", ist Roland Kruse, der Leiter der Studie, überzeugt.
Meist ist es ein schleichender Prozess, der sich über Jahre hinzieht: Die Betroffenen bemerken zunächst, dass nach der Kopfwäsche mehr und mehr Haare im Abfluss verschwinden. Beim Blick in den Spiegel präsentieren sich schließlich die ersten lichten Stellen im Haupthaar. Wenn auch schon Eltern und Großeltern unter Haarausfall zu leiden hatten, ist er höchstwahrscheinlich anlagebedingt - wie bei mehr als 90 Prozent der Fälle von Haarverlust. Bei den Betroffenen reagieren die Haarfollikel besonders sensibel gegenüber Androgenen, den männlichen Geschlechtshormonen. Das Hormon Testosteron wird durch die Enzyme 5-alpha-Reduktase Typ I und Typ II in Dihydrotestosteron (DHT) umgewandelt. Unter dem Einfluss von DHT schrumpft der Haarfollikel. Die Wachstumsphase des Haares verkürzt sich, das Haar geht frühzeitig in die Ruhephase und fällt aus. Der verkleinerte Haarfollikel bringt nur noch dünnere und hellere Haare hervor, bis er am Ende ganz abstirbt und damit überhaupt keine Haare mehr bilden kann.
Frauen, die an anlagebedingtem Haarausfall leiden, entwickeln nicht die für Männer kennzeichnenden Muster: Geheimratsecken und kahle Stellen im Tonsurbereich, die sich ausweiten und häufig auf die zurückweichende Stirn treffen und dann eine zusammenhängende Glatze bilden. Bei Frauen lichtet sich das Haar vor allem in der Scheitelregion. Eine völlige Glatze entwickelt sich selten. Zur Behandlung werden bei ihnen mit einigem Erfolg hormonhaltige Haarwässer wie Alpicort F eingesetzt. Bewährt hat sich die Einnahme weiblicher Sexualhormone, gegebenenfalls in Kombination mit einem Antiandrogen. Dies verbietet sich bei Männern wegen möglicher Nebenwirkungen. Haarwässer mit hormonähnlichen Wirkstoffen für den Mann - ohne die hormonspezifischen Nebenwirkungen - ihr Einfluss auf den Haarausfall ist nicht ausreichend nachgewiesen.
Jedes Haar durchläuft einen dreiphasigen Zyklus. Die
(erschienen in Stiftung Warentest, Sonderheft "Kosmetik")